Eines lässt sich heute mit Sicherheit nicht mehr leugnen: Wir bewegen uns mitten im Zeitalter der Unsicherheit. Bisher vorhersehbare Prognosen halten nicht. Globale Einflussfaktoren tauchen aus dem Nichts auf und bestimmen plötzlich unser Leben und unser Arbeiten – ohne haltbare Aussicht auf die weitere Zukunft. Und Branchen und Wirtschaftsgefüge verschieben sich oder verschwinden ganz. Wie lassen sich in dieser Unvorhersehbarkeit, die uns aktuell deutlicher wird als je zuvor, sinnvoll potenzielle Chancen ableiten? fragt sich Sonja Radatz in ihrem Artikel, und: Welche Lernschritte müssen wir machen, um mit der Unsicherheit erfolgreich umgehen zu können? Wie können wir in dieser Unsicherheit Stabilität erzeugen, ohne die Komplexität zu trivialisieren und uns damit bloß selbst zu belügen? Und wie können wir uns – so paradox es klingen mag – in dieser Unsicherheit sicher positionieren?
Dr. Sonja Radatz
begründete die Relationale Philosophie und verankerte ihre Methodik bisher in 19 Fachbüchern. Binnen weniger Stunden gestaltet die erfolgreiche Begleiterin von Konzernen und Familienunternehmen Neuausrichtungen, wenn disruptive Change an die Türe klopft. Sie ist Herausgeberin der Zeitschrift LO Lernende Organisation und Eigentümerin des IRBW Instituts für Relationale Beratung und Weiterbildung (www.irbw.net). 2020 hat sie die weltweite Mind Changer Academy www.mind-changer.net eröffnet. 2003 wurde ihr der Deutsche Preis für Gesellschafts- und Organisationskybernetik für ihr Lebenswerk verliehen.
Diese Sicherheit über die Unsicherheit: Das ist einer der aus meiner Sicht zentralsten Faktoren, der das digitale Zeitalter prägt – das digitale Zeitalter, in dem wir uns schon lange, für viele immer noch unwissentlich, bewege und das uns noch weiter über unser Lebensende hinaus begleiten wird.
Und genau diese „sichere Unsicherheit“ favorisiert das Relationale Denken. Warum? Weil die Relationale Philosophie genau für die nicht vorhersehbaren Grundfesten gemacht ist, die für das digitale Zeitalter so typisch sind.
1. Das Spiel hat sich verändert. Und nichts sonst ist fix!
Wenn wir den großen Unterschied zwischen „früher“ und „heute“ beschreiben wollen, dann bedienen wir uns am einfachsten der Spieltheorie, die 1944 von John von Neumann und Oskar Morgenstern entwickelt wurde (von Neumann und Morgenstern, 1944).
Ein Spiel im Sinne der Spieltheorie ist eine Entscheidungssituation mit mehreren Beteiligten, die sich mit ihren Entscheidungen gegenseitig beeinflussen. Wenn wir nun unsere Zukunft gestalten wollen, dann treffen wir im Unterschied zur klassischen Entscheidungstheorie auf Situationen, in denen der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln, sondern auch von dem anderer abhängt (interdependente Entscheidungssituation).
Der Gedanke der Spieltheorie bildet seit Jahrzehnten die Grundlage unseres wirtschaftlichen Denkens: Es gibt „Gewinner“ und „Verlierer“ – und Ziel ist es, zwischen all den – bekannten – Playern der „Beste“ zu sein, zu „gewinnen“, den anderen am Besten „aus dem Spiel zu werfen“. Was aber, wenn wir die Spieler nicht mehr kennen – wenn der Konkurrent des Rasenmäherherstellers nicht mehr der andere Rasenmäherhersteller ist, sondern möglicherweise (und auch das ist nicht sicher) der Gärtner, der einen Rasen erfindet, welcher nicht höher als 5 cm wächst? Auf wen richten sich dann unsere Strategien? Und was, wenn plötzlich neue Regeln hinzukommen, wie das sich verändernde Umweltverständnis der Menschen, das nicht (mehr) steuerbare globale Internet, Pandemien wie Corona? Dann wird eines klar: Wir werden recht unsicher darüber, welches Spiel wir gerade spielen, und in vielen Fällen benennen wir das Spiel erst, während wir bereits zu spielen begonnen haben; wir kennen die Regeln nicht mehr; und wir verlieren den Überblick über die Mitspieler.
Oder anders gesagt: Der Gedanke, das Spiel zu gewinnen, wird irrelevant. Vielmehr geht es darum, „im Spiel zu bleiben“ – das heißt,
- erfinderisch zu definieren, welches Spiel wir spielen wollen;
- immer wieder aufs Neue herauszufinden, wer unsere Mitspieler sind und wie sie uns helfen können, im Spiel zu bleiben;
- und uns vornehmlich darauf zu konzentrieren, jene Spielregeln zu entwickeln, die uns helfen, im Spiel zu bleiben (also immer wieder aufs Neue herauszufinden, „wie´s geht“).
Und das gilt meiner Erfahrung nach bei weitem nicht nur für Selbständige oder Unternehmer, sondern genauso auch – und das ist das Herausfordernde an der Sache – für jeden Arbeitnehmer, jede Arbeitnehmerin, der oder die sich bislang in der „Sicherheit“ wiegt, dass die Regeln klar sind und ebenso das Spiel, das hier gespielt wird.
Dabei übersehen viele, dass sie sich mit den potenziellen Spielregeln des „Mitarbeitens“ von morgen überhaupt noch nicht auseinandergesetzt haben; dass ihre größten Konkurrenten nicht die anderen Bewerber sind, sondern die App, die sie morgen ersetzt; und dass die Bosse ihrer Unternehmen faktisch oft gezwungen sind, von „heute auf morgen“ (und nicht mehr wie bisher in „verträglich gestalteten Veränderungsprozessen über mehrere Jahre“) ein ganz neues Spiel zu spielen, in dem die bisherigen Mitarbeiter „vom System her“ häufig gar nicht mehr vorgesehen sind.
Was Simon Sinek bereits 2015 für die Politik beschrieben hat (Sinek, 2015) – nämlich, dass es angesichts der Globalisierung, der globalen Umweltsituation und der weltzerstörenden Waffen der USA wie Russland gar keinen Sinn mehr macht, „das Spiel gewinnen zu wollen“, und es nur noch darum gehen kann, weltweit zu sichern, dass wir „im Spiel bleiben“ (und dafür das Zusammenspiel aller brauchen, für das wir erst die Spielregeln entwickeln müssen) – ist in Wirtschaft und Gesellschaft bestenfalls in Form des schalen Gefühls angekommen, dass es wohl „so nicht mehr weitergehen kann“. Aber die Tragweite der Veränderung, die notwendige grundlegende Veränderung unseres Denkens, kann von Vielen noch nicht explizit benannt werden, geschweige denn, dass sie deren Habitus praktisch auf den Kopf stellen.
2. Drei neue strategische Fragen
Was ich hier so lapidar und kurz in diesem Artikel beschreibe, dreht unser gesamtes wirtschaftliches Denken um, und definiert praktisch alle Wirtschaftsfächer neu. Und es nimmt mit einem Schlag allen Strategiebüchern, der Unternehmensführung, dem Marketing, der Organisation aus dem klassischen bisherigen Denken ihre Daseinsberechtigung.
Und drei neue strategische Fragen rücken – folgen wir diesen Überlegungen – in den Mittelpunkt unternehmerischen Denkens (für Unternehmen) bzw. eigenverantwortlichen Denkens (für Mitarbeiter):
- Wie bleiben wir im Spiel?
- Welches Spiel wird hier gespielt?
- Wie können wir optimal „spielen“ lernen?
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